Die verlorene Ehre der Alexandra Föderl-Schmid

Und wieder hat es eine von uns erwischt. Eine Frau, ihrer Ehre, ihres Handlungsspielraums, ihrer Existenz beraubt – ein weiteres Opfer von Diffamierung, das sich einem unsteuerbaren Prozess wehrlos ausgeliefert sah. Diffamierung passiert nicht, Diffamierung hat System.

Was ist geschehen? Es wurde ein Vorwurf gegen die langjährige Chefredakteurin der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ und stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Alexandra Föderl-Schmid, erhoben und diskutiert. Es wurde NICHT die Kompetenz der renommierten Journalistin in Frage gestellt und NICHT das Wirken in ihrer Führungsfunktion. Es ging um einzelne Passagen in Artikeln, die in der Wortwahl zu ähnlich der einen oder anderen Quelle waren.

Zur Klärung für Nicht-Journalist:innen: Jeder einzelne Artikel eines Journalisten, einer Journalistin mit viel Erfahrung und großem Wissen speist sich aus hunderten bewussten und unbewussten Quellen: Dem, was diese Person einmal gelernt, sich erlesen, erfahren hat; dem, was tagesaktuell an News über unterschiedlichste Quellen „herein“ kommt und auf dem Bildschirm oder im Ohr dieser Person landet; dem, was sie auf Basis dieses Ausgangsmaterials über die Recherche noch dazu fügt.

Fehler können passieren

Aus dieser Vielzahl von Informations-, Wissens- und Erfahrungs-Puzzleteilen entsteht ein Artikel, eine Analyse, ein Kommentar.  Und selbstverständlich ähneln Worte oder Sätze dem, was zuvor zu unterschiedlichsten Zeitpunkten, auch ganz kurz zuvor, in den Wissens- und Erfahrungsspeicher des Autors, der Autorin eingeflossen ist. Je schneller der Nachrichtenfluss wurde, je mehr Output von den schreibenden Mitgliedern der Redaktionen verlangt wurde, je mehr Journalistinnen und Journalisten für ihr Thema „brennen“ und diesen Output von sich aus noch maximieren, desto höher das Risiko, einen Fehler zu machen, auch was den Umgang mit den Quellen betrifft.

Alexandra Föderl-Schmid ist eine äußerst erfahrene, äußerst kompetente, äußerst einsatzbereite Vielschreiberin. Zwei Artikel, um die es vorrangig geht, sind offensichtlich an jenem Tag entstanden, als der Hamas-Angriff auf Israel stattfand. Maximaler Zeitdruck, maximale Erwartung an DIE Expertin in der Redaktion, maximale Einsatzbereitschaft.

Mehr soll dazu nicht gesagt werden, denn: Menschen machen Fehler, davor ist niemand gefeit. Fehler dürfen und müssen diskutiert werden, gerade auch dann, wenn sie die Glaubwürdigkeit eines ganzen Unternehmens gefährden. Und Fehler können auch Konsequenzen nach sich ziehen. Die Journalistin Barbara Toth („Falter“) hat in sehr verdienstvoller Weise die Fakten recherchiert, die Zusammenhänge hergestellt, die Behauptungen relativiert und Erklärungen kommuniziert.

Doch einmal mehr die Frage: Was ist hier geschehen?

Diffamierung hat System

Statt ein – zunächst internes – Abklärungsverfahren abzuwarten, trug ein interner Diffamierer gezielt ein Gerücht nach außen. Der Empfänger des Gerüchts ließ eine empörte Öffentlichkeit entstehen. Einer, der selbst seinen Ruf (aus eigener Schuld) verloren hat, beauftragte einen weiteren Diffamierer damit, nachzulegen und heizte die Empörung noch weiter an.

Jetzt geht es nicht mehr um einzelne Passagen, die vielleicht zu wortgleich übernommen wurden. Es geht gegen die Person, es geht gegen ihren Ruf.  Alles darf jetzt „noch gesagt werden“, auch Unsagbares greift Raum.

Es geht nicht mehr um die Untersuchung eines möglichen Fehlers. Ein Freispruch ist nicht mehr möglich. Die renommierte Journalistin soll mundtot gemacht werden Ihr Handlungsspielraum soll eingeschränkt werden, mit dem Ziel, sie zu isolieren, sie zu verdrängen, sie zum Rückzug zu zwingen, bis hin zum Existenzverlust, ohne Rücksicht auf Verluste.

Eine Person wird öffentlich an den Pranger gestellt – wie weiland Heinrich Bölls Katharina Blum. Sie hat keine Kontrolle über diese Öffentlichkeit. Bei Blum war es noch die Bild-Zeitung, in der einer der jetzt tätigen Diffamierer übrigens seine Vergangenheit hat. Heute sind Online-Medien, Blogs, die sozialen Medien der verlängerte Arm der Diffamierer, traditionelle Medien die Verstärker und die User und Kommentatoren die gewissenlosen Mittäter. Ob sich die ursprünglichen Vorwürfe als haltlos erweisen, ob all die sonst noch erhobenen Beschuldigungen gegenstandslos sind, ist unerheblich. Das Opfer ist längst verspeist, verdaut und ausgespuckt.

Frauen im Visier

Diffamierung passiert nicht, Diffamierung hat System. Der Ursprung sind niedere Motive: Rache, Zurücksetzung, Frustration, Feigheit. Die Sichtbarkeit anderer – und oft sind es Frauen – weckt den Jagdinstinkt. Auch Männer werden zu Opfern. Auch Frauen machen sich zu Täterinnen. Aber Frauen sind in besonderer Weise von Diffamierung betroffen, vor allem erfolgreiche Frauen. Warum? Sie sind eingedrungen in Domänen der Männer. Sie machen sich laut, dort, wo man(n) von ihnen erwartet, dass sie leise sind. Sie werden Chefinnen von Männern, die gerne weiterhin selbst das Sagen hätten. Sie halten Männern einen Spiegel vor, in dem diese ihr eigenes Versagen erkennen.

Diffamierung passiert nicht, sie hat System. Viele Bemühungen zielen darauf ab, Frauen in Führungspositionen zu bringen. Doch wie lange halten sie sich dort? Der Blick darauf muss geschärft werden. In diesem Fall hat es eine sehr prominente Frau erwischt, doch der Kreis der Betroffenen ist viel, viel größer. Wie viele Kämpfe müssen sie gegen unsichtbare Feinde führen, die sie fortgesetzt diffamieren, in ihren Positionen untergraben, sie verstummen und verschwinden lassen. Anonyme Täter verschwinden im Netz. Medien verstärken. Nicht was geschah, sondern was geschehen sein könnte, ist relevant. Es verschleiern sich Ursache und Wirkung, es werden Angriffe transportiert und verstärkt, deren Wirkung sich unkontrolliert entfaltet.

Institutionen mit im Boot

Diffamierung passiert nicht, sie hat System. Nicht nur Betroffene, auch ihre Arbeitgeber, Institutionen sind darauf nicht vorbereitet. Auch nicht Medienunternehmen, die es besser wissen sollten. Im aktuellen Fall geriet mit der Süddeutschen Zeitung eine Institution ins Kreuzfeuer, die es an einem besonders empfindlichen Punkt trifft: Der Angriff zielte nicht nur auf eine Person, sondern auf die ganze Institution. Das Vertrauen der Leserinnen und Leser in ein Medium ist dessen Kapital. Die Institution versuchte, dieses Kapital zu schützen, indem sie auf Verrätersuche ging. Indem sie die betroffene Person zu wenig schützte, machte sie für die Institution als Ganzes dennoch eine Flanke auf.

Diffamierung passiert nicht, Diffamierung hat System. Zur Sensibilisierung in Bezug auf das Erkennen möglicher Gefahren gehört das Grundverständnis für die Ursachen von Diffamierung, für die Motivation der Verursacher. Und das Wissen darum, dass nicht mehr wichtig ist, was war: Das was gewesen sein könnte, wird für das Opfer zum verhängnisvollen Ist und überlagert die Realität. Es gibt viele Kläger, aber keine Verteidigung. Die Behauptung wird zum Schuldspruch. Das Urteil scheint endgültig, in der Online-Community, in der eigenen Institution, in der Branche, oder in den Augen Dritter – der Kund:innen des Unternehmens oder der Institution, der die diffamierte Person zugerechnet wird.

Der Wert der Kund:innen für das Unternehmen oder die Institution wird gegen das Opfer verwendet, dessen Bedürfnisse im Zweifelsfall Gott Mammon geopfert werden. Der Schaden schließlich, den Dritte als Folge des Rumors für sich selbst befürchten, lässt diese Dritten auf Distanz gehen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Es geht nicht mehr darum, einen Sachverhalt aufzuklären, sondern darum, eine Person aus dem Weg zu räumen. Den Tätern geht es darum, möglichst viel Schaden auch für das Umfeld entstehen zu lassen. Institutionen geht es darum, vor allem Schaden von sich selbst abzuwehren.

Wir brauchen Schutzkonzepte

Nur wer die Opfer im Blick hat und schützt, schützt auch sich selbst. Im Bereich der Medien wird gerade eine neue Vertrauensstelle aufgebaut, die Journalistinnen dabei unterstützen soll, gegen Übergriffe, sexuelle Belästigung aber auch Machtmissbrauch vorzugehen. Diffamierung ist eine Form von Machtmissbrauch. Institutionen und Organisationen brauchen Anlaufstellen und ein Schutzkonzept nach innen und einen Plan für ihr Auftreten nach außen.

Zu diesem Auftreten nach außen gehört auch der rechtliche Schutz, rechtzeitiges und effizientes Vorgehen gegen die Diffamierer. Diffamierung ist im österreichischen, im deutschen und im Schweizer Strafrecht kein eigener Straftatbestand. Bestehende Straftatbestände streifen oft nur den Sachverhalt. Hier muss das Strafrecht erweitert und präzisiert werden.  Die österreichische Initiative „Hass im Netz“ war ein wichtiger Schritt.

Die Verantwortung der vielen

Diffamierung passiert nicht, Diffamierung hat System. Selten – weil diesmal selbst betroffen – ist Medien und Journalist:innen so bewusst geworden, wie ohnmächtig das Opfer von Diffamierung dem Geschehen ausgeliefert ist. Die Täter machen ihr Geschäft. Die Opfer verstummen. Es fehlt am nötigen Bewusstseindafür, wer sich zu Mittätern macht und welcher Hebel es bedarf, um einen Sperrgürtel zu errichten. Die Medien sind Verstärker und können zu Mittätern werden. Sie sind gefordert, in ihren Redaktionen eine Awareness in Bezug auf das Thema Diffamierung zu schaffen und sich im Wege einer klar deklarierten Ansprechstelle entsprechenden Wahrnehmungen und Beschwerden zu stellen. Die Redaktionen müssen verstärkt sensibilisiert, qualifiziert und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, um diffamierende Inhalte zu erkennen, deren Weiterverbreitung zu unterlassen, fake news erkennen zu können.

Es reicht aber nicht, um eine Institution eine Mauer zu errichten und Betroffene bei der Selbsthilfe zu unterstützen. Es braucht die Verantwortung der vielen, die bereit sind, das freie Spiel der Kräfte zu bremsen, selbst Position zu beziehen, sich in Solidarität zu üben und vor allem: nicht zu Mittäterinnen und Mittätern zu werden.

Der „Flower-Rain“ für Alexandra Föderl-Schmid ist ein wichtiges Zeichen. Möge er ihr Kraft und Zuversicht geben und möge dieses Zeichen dafür, dass vielen bewusst wurde, was hier passiert ist, der erste Stein eines neuen Schutzwalls werden.

Claudia Gigler, Februar 2024

Claudia Gigler ist Freie Journalistin, Geschäftsführerin des Österreichischen Kuratoriums für Presseausweise, Mitglied der neuen Vertrauensstelle Columna V, Vorstandsmitglied von FELIN_female leaders und engagiert sich im internationalen Austauschkreis diffamierung.net


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