Zita Küng © Urs Graber

Diffamierung I: Definition und Gesetz

Das Kongressthema „Punishment“ der SAFI-Konferenz 2023 in Paris berührt unsere Aktivitäten im Kern: Wir sind seit 2020 als Feministinnen aus Deutschland-Österreich-Schweiz im Austausch, weil wir beobachten, dass die Diffamierung von Frauen, die sich irgendwo öffentlich äußern, nachweislich zunimmt. Es gibt keine wirkungsvollen Regelungen und Maßnahmen, um es zu verhindern. Oft erfolgt keine Bestrafung der Diffamierer.

Verfasst von Zita Küng für die SAFI-Konferenz Paris 2023. Hier finden Sie den Vortrag zu Diffamierung & Recht in englischer Sprache.

Die Kernaussagen:

  • Unter Diffamierung verstehen wir geplantes, länger andauerndes schädigendes Vorgehen gegen Personen, Organisationen und Institutionen, die bestimmte Themen bzw. Positionen vertreten.
  • Es geht um Erniedrigung und Abwertung vor allem von Frauen, die oft in Rückzug und Schweigen mündet, bis hin zur Lähmung, weil keine Instrumente zur Verfügung stehen, die Gegenwehr ermöglichen. Und es geht um wirtschaftliche Nachteile, bis hin zum Existenzverlust und um Enteignung auch von geistigem Eigentum.
  • „Diffamierung“ ist im deutschen, im österreichischen und im Schweizer Strafrecht kein eigener Straftatbestand, daher bleiben Diffamierer oft ungestraft. Existierende Straftatbestände in Bezug auf einzelne Tatbilder müssen neu gebündelt werden, um ein besseres Vorgehen gegen Diffamierung zu ermöglichen. Der Zugang zum Recht muss erleichtert werden.

Drei Fallbeispiele

Lassen Sie mich mit drei Beispielen beginnen, um deutlich zu machen, wie Diffamierung wirkt:

  • Beispiel 1, aus der Schweiz. Eine junge, alternative Schweizer Regionalparlamentarierin lässt nach einer Politfeier im Krankenhaus abklären, ob ihr K.O.-Tropfen verabreicht wurden und ob ihr Gewalt angetan wurde. Jolanda Spiess-Hegglin erinnert sich an nichts. Einen Tag später findet sie sich mit Namen und Bild in einem Boulevard-Blatt mit der Behauptung wieder, sie würde einen Kollegen im Zuger Kantonsrat anschuldigen. Die Medien, allen voran Blick/Ringier, Tages-Anzeiger und Weltwoche, nehmen den Fall auf und diskutieren, ob eine Frau mit solch zweifelhaftem Verhalten würdig ist, das Volk im Parlament zu vertreten. Die Partei legt ihr den Rücktritt nahe. Sie wechselt in eine andere Partei, zwei Jahre später legt sie das Mandat endgültig zurück.
  • Beispiel 2, aus Österreich: Die Direktorin einer Kultureinrichtung in einer größeren österreichischen Stadt wird Zielscheibe von Rechtsaußen, die aus dem „Forum Stadtpark“ ein Kaffeehaus machen wollen. Auf ihren Widerstand hin wird ihr vorgeworfen, sich nicht ausdrücklich von Gewalt u.a. durch Vandalismus zu distanzieren, die in zeitlicher Nähe zu einer Veranstaltung aber ohne Zusammenhang damit angerichtet wurden. Durch parlamentarische Anfragen der FPÖ wird Heidrun Primas gezwungen, sich auf absurde und erfundene Vorwürfe zu verteidigen. Sie wird auch persönlich sexistisch angegriffen.
  • Beispiel 3, aus Deutschland: Annette Kuhn war seit Anfang der 1960er Jahre anerkannte Geschichtsprofessorin an der Universität Bonn. Als sie ab den 1970er Jahren Frauengeschichte zu einem wissenschaftlichen Schwerpunkt machte und den Aufstieg in die Gremien der Universität schaffte, änderte sich das: Ihr Fachgebiet wurde als „unwissenschaftlich“ und „separatistisch“ bezeichnet, Promotionen zur Frauengeschichte grundsätzlich abgelehnt. „Offene Briefe“ der Historiker ans das zuständige Wissenschaftsministerium und eine Hetzkampagne machten ihr die Arbeit schwer. Sie blieb hartnäckig. Mit juristischen Tricks wurde ihr die Prüfungserlaubnis entzogen. Ihre Person und Lebensweise wurde jahrelang sexistisch angegriffen.

Kritik versus Diffamierung

Personen, die öffentliche Ämter bekleiden, wichtige Einrichtungen im öffentlichen Interesse leiten, müssen sich selbstverständlich der öffentlichen Kritik stellen. Es muss möglich sein, ihre Leistung im Amt und auch ihr Verhalten als Personen zu kritisieren. Bei Fehlleistungen und Fehlverhalten müssen adäquate Maßnahmen – bis hin zur Entfernung aus dem Amt und eventuellen gerichtlichen Verfahren – getroffen werden können.

In allen drei Fällen ist dies vordergründig der Fall:

  • eine Regionalparlamentarierin zeigt sich ihres Amtes als unwürdig
  • die Direktorin unterstützt gewalttägige Aktionen
  • die Professorin ist unwissenschaftlich und separatistisch

Das könnten Kritiker zum Anlass nahmen, nach Konsequenzen zu rufen. Aus dem Munde von Diffamierern hat dieser Ruf nach Konsequenzen aber nicht ein Verfahren zum Ziel, das auch tatsächlich zu Maßnahmen führen könnte, wie

  • Anzeige bei einer zuständigen Stelle
  • Einleiten eines Verfahrens
  • Untersuchung der Tatbestände
  • Anhörung der Beteiligten
  • Entscheidung durch legitimierte Stellen
  • Umsetzung der rechtmäßig getroffenen Entscheidungen.

Wer eine Diffamierung gegen eine Person in Gang setzt, hat zwar Ziele im Kopf, wie sie mit Maßnahmen eines ordentlichen Verfahrens getroffen werden könnten: z.B. Entlassung aus der Position oder Entfernung aus dem Amt. Das gewählte Vorgehen ist aber ein ganz anderes. Statt ein zunächst internes Abklärungsverfahren anzuregen, gehen Diffamierende gezielt so vor, dass möglichst rasch eine empörte Öffentlichkeit entsteht, die den vorgetragenen Vorwurf verstärkt und verbreitet. Sehr oft verschwinden bereits in diesem Zeitpunkt die aktiven Diffamierer und können nur noch schwer nachgewiesen werden.

Wenn sich das Thema wegen schwindendem Interesse einfach zu verlaufen droht, müssen die Diffamierer „nachlegen“. Sie bringen weitere Anschuldigungen in Umlauf.

Definition von Diffamierung

Damit sind wir bei der Definition von „Diffamierung“:

„Unter Diffamierung verstehen wir geplantes, länger andauerndes schädigendes Vorgehen gegen Personen, Organisationen und Institutionen, die bestimmte Themen bzw. Positionen vertreten.“

Vor allem Frauen, die Positionen und Raum einnehmen, sollen kleingemacht, sollen mundtot gemacht werden. Ihre Handlungsspielräume sollen durch die Diffamierung eingeschränkt werden, mit dem Ziel, diese Frauen schlecht zu reden, sie zu isolieren, sie aus der Position zu drängen, sie zum Rückzug zu zwingen.

Es geht um Erniedrigung und Abwertung von Frauen, die oft in Rückzug und Schweigen mündet, bis hin zur Lähmung, weil keine Instrumente zur Verfügung stehen, die Gegenwehr ermöglichen. Und es geht um wirtschaftliche Nachteile, bis hin zum Existenzverlust und um Enteignung auch von geistigem Eigentum.

Gefangen im Strudel der Gerüchte

Ist die Empörung einmal vorhanden – meistens durch Social Media getragen – ist die nächste Stufe entscheidend: Nehmen die Massenmedien das Thema auf? Bringen die Medien – oft ohne eigene Recherchen – diese Anschuldigungen, werden sie immer schwerwiegender. Schlechte Nachrichten, Beschuldigungen, Gerüchte sind interessant für das Publikum, entsprechende „Nachrichten“ werden vielfach gelesen und kommentiert. Die Medien machen sich dieses Phänomen zunutze, Clickbait-Journalismus wird nicht nur nicht unterbunden, sondern sogar unterstützt. Er zielt darauf ab, durch die Verbreitung der Geschichten und das Schüren der Emotionen die Zugriffe auf die eigenen Plattformen zu maximieren.

Damit steht die entsprechende Person öffentlich am Pranger und ist in einer unglaublich machtlosen Position: Sie kann nicht auf Augenhöhe kämpfen, weil sie nicht die Kontrolle über die Medien hat. Sie kann zwar Stellung nahmen oder allenfalls eine Gegendarstellung veröffentlichen, sie ist aber immer abhängig davon, ob diesem Begehr Folge geleistet wird oder nicht. Mit und ohne Gegendarstellung ist sie mit der Anschuldigung in der Öffentlichkeit präsent.

Damit stellt sich die Frage, wie die eigene Institution und das eigene Umfeld reagieren.

  • Ist die Person intern gut verankert und genießt das volle Vertrauen, oder kommen Zweifel an ihren Qualitäten auch intern auf?
  • Äußern sich Kolleginnen und Kollegen – falls, ja: wie?
  • Melden sich Aufsichtsbehörden und Geldgebende?
  • Werden Zwischenberichte und Klärungssitzungen verlangt?
  • Ist die Institution / die Organisation mit ständigen Stellungnahmen beschäftigt?
  • Ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Führungsperson plötzlich wichtiger als das Tagesgeschäft?

Es entsteht eine Dynamik, die Diffamierung entfaltet Wirkung: Die angegriffene Person ist verletzt. Die Frage ist: wie schwer ist die Verletzung, und ist diese Verletzung (noch) heilbar? Die Person ist zwar noch in der Position, aber immer mehr Beobachter fragen sich, wie lange noch und zu welchem Preis. Denn eine Institution / eine Organisation mit einer angegriffenen Führung hat einen schweren Stand.

Spätestens in dieser Phase müssen sich die Person und ihre Institution / Organisation überlegen, wie sie diese schädigende Situation beenden und Klarheiten herstellen können.

Wie Diffamierung rechtlich fassen?

„Diffamierung“ ist im deutschen, im österreichischen und im Schweizer Strafrecht kein eigener Straftatbestand. Es sind nur Teile des diffamierenden Verhaltens strafbar, z.B. wenn es den Straftatbestand einer Beleidigung, üblen Nachrede, Verleumdung, Ehrverletzung, Rufschädigung oder Drohung erfüllt. Weiter sind zivilgesetzlich geschützte Güter, wie der Schutz der Persönlichkeitsrechte, der Privatsphäre und der persönlichen Integrität in diesem Zusammenhang relevant.

Betroffene Frauen müssen sich also rechtlich beraten lassen und zunächst einmal analysieren, mit welchen Aktionen allenfalls welches Tatbild erfüllt ist, welche Straftatbestände vor Gericht überhaupt angeklagt und verhandelt werden können. Die Dynamik mit ihren weit verzweigten Auswirkungen ist nicht gesamthaft erfasst und kann nur über Umwege umfassend in den rechtlichen Blick genommen werden.

  • Um die Opfer von Diffamierung aus der Vereinzelung herauszuholen, muss die subjektive Tatwahrnehmung objektiviert werden durch eine neue Bündelung von Teiltatbeständen, die das Gesamtbild spiegeln.
  • Außerdem muss der Zugang zum Recht erleichtert werden.
    Ein Beispiel: Das Strafrecht wird traditionell als unabhängig von den Opfern verstanden. Der Staat klagt an. In der Schweizer Zivilprozessordnung gibt es die privatrechtliche Verbandsklage, die den kollektiven Rechtsschutz abstützt: Ein Verband kann die Rechtsansprüche mehrerer Geschädigter gesammelt einklagen. Dieser kollektive Rechtsschutz für mehrere Geschädigte wäre auch im Strafrecht anzudenken.
    Ein zweites Beispiel: In Österreich wurde im Dezember 2020 mit dem Gesetzespaket gegen „Hass im Netz“ einiges neu geregelt, unter anderem wurde der Strafrechtstatbestand der Verhetzung auf Einzelpersonen ausgeweitet.
  • Unabdingbar ist die exakte Definition von Diffamierung und eine Unterscheidung zwischen Opfern, die durch Diffamierung innerhalb ihrer Organisation Schaden nehmen, und jenen, die öffentlich diffamiert werden. Es ist dabei auch eine Abgrenzung zu Diskriminierung, Stalking, Mobbing, Bossing oder Belästigung vorzunehmen.

Leider haben wir noch keinen gesamthaften Vorschlag dazu. Wir stehen am Anfang der Überlegungen, weil – auch speziell Frauen – widersprüchliche Erfahrungen machen, wenn der Staat mit seinen Organen ihre Interessen in die Hand nimmt. Da ist historisch genau hinzuschauen und sorgfältig abzuwägen, wie eine Entwicklung sowohl im Hinblick auf den Vollzug durch staatliche Organe als auch in Bezug auf das öffentliche Bewusstsein in eine positive Richtung gefördert werden kann.

Resumee

Die drei konkreten Beispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind natürlich weitergegangen. Meine Kolleginnen Barbara Degen, Claudia Gigler und Ulrike Reiche berichten dazu aus unterschiedlichen Perspektiven.

Diffamierung kann nicht nur für die einzelne betroffene Frau existenzgefährdend sein, sondern berührt auch Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit als Säulen der Demokratie. Ich kann Ihnen keine einfachen Lösungen anbieten, weil es keine einfache Lösung gibt. Die Geschichte der Frauen ist eine Geschichte der Unterdrückung des weiblichen Geschlechts und des zähen Ringens um Emanzipation.

Lic.iur. Zita Küng ist Juristin, Organisationsentwicklerin und Frauenrechtsaktivistin in Zürich. Sie ist Vorstandsmitglied bei fem! (Feministische Fakultät), FRI (Institut suisse d’études juridiques féministes et gender law) und StrukturElle. Sie führt die Agentur EQuality. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Nachwuchsförderung von weiblichen High Potentials.

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