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Diffamierung, weitgehend im rechtsfreien Raum

Abstract für die 4. Internationale Konferenz von Safi zum Thema Punishment.

Claudia Gigler, Barbara Degen, Ulrike Reiche, Zita Küng

Diese Konferenz befasst sich mit Strafe und Strafmaßnahmen. Was aber, wenn sich schädliches Verhalten den existierenden Straftatbeständen entzieht?

Hier soll die Rede sein von „Diffamierung“ – dem Kleinmachen und „Mundtotmachen“ von Frauen in Führungspositionen, dem Minimieren ihrer Handlungsspielräume durch Diffamierung, mit dem Ziel, diese Frauen schlecht zu reden, sie zu isolieren, sie letztlich zum Rückzug zu zwingen.

Es geht hier um gezieltes, länger andauerndes schädigendes Vorgehen gegen Personen, auch gegen Organisationen, die bestimmte Positionen vertreten. Es geht um die Ausübung von Gewalt, die subtiler wirkt als der direkte Angriff; um Gewalt, die ihre Wirkung im Zusammenwirken von mehreren Beteiligten auf unterschiedlichen Ebenen entfaltet.

Es geht um Erniedrigung und Abwertung von Frauen, die oft in Rückzug und Schweigen mündet, bis hin zur Lähmung, weil keine Instrumente zur Verfügung stehen, die Gegenwehr ermöglichen.

Und es geht um wirtschaftliche Nachteile, bis hin zum Existenzverlust und um Enteignung auch von geistigem Eigentum.

Täter-Justiz

Wir haben es hier mit einer Bestrafung zu tun, die von Tätern vorgenommen wird, nicht vom Staat. Die Diffamierenden üben eine Art Selbstjustiz, sie stellen die von ihnen gewünschte Ordnung (wieder) her.

„Diffamierung“ ist im deutschen, im österreichischen und im Schweizer Strafrecht kein eigener Straftatbestand. Diffamierendes Verhalten ist nur dann strafbar, wenn es den Straftatbestand einer Beleidigung, üblen Nachrede oder Verleumdung erfüllt.

Prävention gegen Diffamierung ist keine gelernte und etablierte Qualität von Unternehmenskultur. Maßnahmen gegen „Diffamierung“ sind – anders als bei sexuellen Übergriffen und sexualisierter Gewalt – meist nicht vorgesehen.

Rechtliche Normen

Um die Opfer von Diffamierung aus der Vereinzelung herauszuholen, muss die subjektive Tatwahrnehmung objektiviert werden durch eine neue Bündelung von Teiltatbeständen, die das Gesamtbild spiegeln.

Das Strafrecht wird traditionell als unabhängig von den Opfern verstanden. Der Staat klagt an. In der Schweizer Zivilprozessordnung gibt es die privatrechtliche Verbandsklage, die den kollektiven Rechtsschutz abstützt. Dieser kollektive Rechtsschutz für mehrere Geschädigte wäre auch im Strafrecht anzudenken.

Ethische Normen lassen die zu sanktionierenden Grenzüberschreitungen zweifelsfrei erkennen, doch dazugehörige rechtliche Normen fehlen. Diese Leerstelle ist zu füllen. Institutionen und Organisationen sind in die Pflicht zu nehmen und an ihrer Verantwortung zu messen. Diese bemisst sich auch an der Bereitschaft zu Sanktionen.

Fürsorgepflicht

Die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber ist begrifflich neu zu definieren, Mediationsstellen für Fälle von Diffamierung sind zu etablieren, mit der Verpflichtung, Kriterienkataloge für ethische Normen wie Gleichstellung, Menschenwürde und Gewaltfreiheit zu erarbeiten und die Bearbeitung der Fälle daran zu orientieren. Die Fälle sind anonymisiert zu veröffentlichen.

In Italien entwickelt sich gerade eine Diskussion darüber, ob Eltern von Minderjährigen für Mobbing an Schulen verantwortlich sind und bestraft werden sollten, da sie das „zivile Zusammenleben“ innerhalb oder außerhalb der Schulen stören. Analog wäre eine „Haftung“ der verursachenden Personen und Institutionen für den teils existenzgefährdenden Schaden, den Frauen durch Diffamierung erleiden, zu diskutieren.

Unabdingbar ist die exakte Definition von Diffamierung und eine Unterscheidung zwischen Opfern, die durch Diffamierung innerhalb ihrer Organisation Schaden nehmen, und jenen, die öffentlich diffamiert werden. Es ist dabei auch eine Abgrenzung zu Diskriminierung, Stalking, Mobbing oder Bossing vorzunehmen.

Not blaming the women, blaming the system“ muss das Ziel sein, auch und gerade im Zusammenhang mit Diffamierung.

Die englische Übersetzung finden Sie hier.

Zu den Autorinnen:

Claudia Gigler, Barbara Degen, Ulrike Reiche und Zita Küng sind Mitglieder eines internationalen Austauschkreises von Expertinnen aus der DACH-Region, mit Fokus auf den Umgang mit Diffamierung.

  • Dr. Barbara Degen ist Juristin und Frauengeschichtsforscherin. Sie ist Mitbegründerin des Feministischen Rechtsinstituts sowie des Vereins Haus der FrauenGeschichte in Bonn und Buchautorin („Das Herz schlägt in Ravensbrück. Die Gedenkkultur der Frauen“, „Justitia ist eine Frau. Geschichte und Symbolik der Gerechtigkeit“).
  • Mag. Claudia Gigler studierte Germanistik und Anglistik und ist Journalistin, Moderatorin und Trainerin für Öffentlichkeitsarbeit. Sie ist Vorstandsmitglied von FELIN (Female Leaders Initiative) und unterrichtet an der FH Joanneum in Graz zum Thema Kommunikationstheorie – Gender und Diversity.
  • Lic.iur. Zita Küng ist Juristin, Organisationsentwicklerin und Frauenrechtsaktivistin in Zürich. Sie ist Vorstandsmitglied bei fem! (Feministische Fakultät), FRI (Institut suisse d’études juridiques féministes et gender law) und StrukturElle. Sie führt die Agentur EQuality. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Nachwuchsförderung von weiblichen High Potentials.
  • Ulrike Reiche ist geprüfte Bankfachwirtin und Unternehmensanalystin, Buchautorin und Systemische Organisationsberaterin mit Fokus auf Führung, Vereinbarkeit, Diversität und Resilienz. Sie ist Vorstandsmitglied bei fem! (Feministische Fakultät) und Co-Initiatorin des FrauenForum Konstanz. Im Rahmen der Initiative #CloseEconDataGap setzt sie sich für eine Daten basierte Sichtbarkeit des Care-Gaps und der daraus resultierenden ökonomischen Ungerechtigkeit ein.

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