Die österreichische Medienanwältin Maria Windhager sieht im 617.000-Euro-Urteil, das Jolanda Spiess-Hegglin in der Schweiz erkämpfte, eine Chance, auch den Boulevard in Österreich stärker unter Druck zu setzen.
Interview: Claudia Gigler
In der Schweiz ist dieser Tage ein bemerkenswertes Urteil gefallen: Der Ringier-Verlag muss der jahrelang vom Boulevard diffamierten Journalistin und ehemaligen Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin den Gewinn herausgeben, den der Verlag auf ihrem Rücken erzielte. Das Erstgericht sprach ihr 617.000 Euro zu. Sehen Sie hier einen Präzedenzfall auch für Österreich?
MARIA WINDHAGER: Das ist eine Grundsatzentscheidung, die allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Dieser Streit wird sicher durch alle Instanzen bis zum Höchstgericht ausgefochten werden. Aber es ist schon einmal ein großer Schritt. Auch in Österreich gibt es die gesetzliche Regelung, dass bei einem Schaden der damit erzielte Gewinn herauszugeben ist. Der Teufel steckt im Detail: Wie bisher in der Schweiz ist es auch hier im Falle von Persönlichkeitsschutzverletzungen extrem schwierig, den konkreten, durch die Berichterstattung verursachten, wirtschaftlichen Schaden nachzuweisen.
Gab es schon ähnliche Fälle?
Das Bemerkenswerte an dem Urteil: Der Nachweis für Schaden und Gewinn wurde großzügiger gehandhabt.
Mir ist kein vergleichbarer Fall bekannt. Es gab bisher den Gewinnherausgabeanspruch in Österreich eigentlich nur, wenn ein „geldwerter Bekanntheitsgrad“, wie beispielsweise bei berühmten Sportlern, bejaht wurde. Es ist aber grundsätzlich anerkannt, dass bei Verletzung von Persönlichkeiten auch eine Gewinnherausgabe zustehen kann. Davon zu unterscheiden ist die Geltendmachung von immateriellem Schadenersatz,. Hier können sich Betroffene auf die medienrechtlichen Entschädigungsbestimmungen und den Bildnisschutz nach dem Urheberrechtsgesetz kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung stützen. Dabei wird kein Nachweis für eine relevante Kränkung verlangt. Das heißt, die Möglichkeit einer Kränkung wird als ausreichend erachtet, auch wenn eine solche vielleicht nicht in jedem Fall nachweisbar ist. Das Bemerkenswerte am Schweizer Urteil ist, dass es Jolanda Spiess-Hegglin geschafft hat, die Gerichte dazu zu bringen, die Kausalität, also den konkreten Nachweis für den Schaden und den Gewinn, großzügiger zu handhaben.
Das bedeutet?
Auch hier war für das Gericht die abstrakte Kausalität ausreichend: Es stellte fest, dass die Berichterstattung erkennbar dazu diente, die Auflage zu erhöhen. Die Berechnung des Gewinns bleibt aber strittig. Es wird also auch in Zukunft sehr schwierig sein, diesen Nachweis zu führen. Der Tenor des Schweizer Urteils ist aber jedenfalls, dass sich Unrecht nicht lohnen darf.
Erstmals konkrete Berechnung möglich
Im konkreten Fall half ein ehemaliger Chefredakteur, Hansi Voigt, dabei, die Auflage- und Zugriffszahlen entsprechend zu interpretieren…
Der Verlag musste sämtliche Informationen im Detail herausgeben, die dazu dienen konnten, den Gewinn zu eruieren.
Ja, das war sicher sehr hilfreich. Die Gerichte haben den Ringier-Verlag zuvor dazu verpflichtet, sehr genau über diese Zahlen Auskunft zu geben. Der Verlag musste sämtliche Informationen im Detail herausgeben, die dazu dienen konnten, den Gewinn zu eruieren: Beglaubigte Leserzahlen, page impressions, unique clients, Durchschnittserlöse, die Entnahme aus Zeitungsboxen, und so weiter und so fort.
Das Urteil in der Schweiz ist die Folge eines Drei-Schrittes: Zuerst wurde vom Gericht festgestellt, dass die inkriminierten Artikel persönlichkeitsverletzend sind, danach wurde die Herausgabe der Zahlen verordnet und im dritten Schritt dann der Gewinn berechnet und auf Herausgabe entschieden. Bereichert dieses Beispiel auch Ihren Werkzeugkoffer als Medienanwältin?
Der Fall Jolanda Spiess-Hegglin ist schon ein Extremfall, damals, in der Intensität und Dauer der persönlichkeitsverletzenden Berichterstattung, mit dem Breittreten von Schändungsphantasien und der Unterstellung, sie wolle nur eine eigene Affäre vertuschen. Aber wir hatten in Österreich auch schon extreme Fälle in der Kriminalberichterstattung, wo sich die Frage nach einer Gewinnherausgabe stellt. Der Fall Amstetten zum Beispiel, oder der Fall Kampusch – das waren Fallkonstellationen, wo die Persönlichkeitsrechte massiv verletzt wurden und der Boulevard damit sicher beachtliche Gewinne erzielt hat. Oder der Fall Christian Wildner – das Kind, das seinem Vater gewaltsam vom Gerichtsvollzieher abgenommen wurde. In all diesen Fällen wurde kampagnenartig über einen längeren Zeitraum berichtet. Bisher war aber die Forderung nach einer Gewinnherausgabe nicht aussichtsreich. Immerhin haben aber diese Fälle dazu beigetragen, dass die Höchstbeträge bei den medienrechtlichen Entschädigungsbestimmungen angehoben wurden.
Extrem über die Stränge geschlagen
Der Boulevard in der Schweiz hatte in diesem Fall, vor zehn Jahren, extrem über die Stränge geschlagen, aber es werden auch heute noch laufend Persönlichkeitsrechte verletzt. Wie bewerten Sie die Situation in Österreich?
Es gibt ein sehr zynisches Kalkül: Die Verlage haben ein bestimmtes Budget für Rechtsverletzungen.
Ich sehe, dass beim klassischen Boulevard in Österreich, etwa bei „Krone“, „oe24“ oder „Heute“, nach wie vor die Bereitschaft zu Persönlichkeitsverletzungen da ist. Da wird nicht mit der Wimper gezuckt. Es gibt ein sehr zynisches Kalkül: Die Verlage haben ein bestimmtes Budget für Rechtsverletzungen. Immer wenn die Kasse leer ist, weil sehr hohe Entschädigungen erstritten wurden, zum Beispiel in Zusammenhang mit dem Opferschutz von Kindern, müssen sich die Redaktionen eine Zeit lang zusammenreißen. Wenn die Kasse wieder gefüllt ist, geht es weiter wie zuvor. Alle Verlage müssen sich sehr genau überlegen, wie viele Rechtsstreitigkeiten sie sich leisten können. Deshalb ist es sehr wichtig, Persönlichkeitsverletzungen konsequent zu verfolgen, um diese Kasse möglichst oft zu leeren.
Kann man das auf diese Beobachtung auf wenige schwarze Schafe beschränken?
Man merkt, dass die Boulevardisierung insgesamt voranschreitet. Im Bereich der Chronik kommen auch andere Nachrichtenmedien, auch der ORF, immer wieder in Versuchung, reißerisch zu berichten, ohne die Persönlichkeitsrechte im gebotenen Maße zu schützen. Im Falle Christian Wildner übte sich die Konkurrenz in einer regelrechten Boulevardschlacht mit der „Krone“. Dazu kommt, dass der Druck auch auf die Qualitätsmedien steigt, boulevardeske Themen und Details vorschnell aus Sozialen Medien zu übernehmen. Dort gehört das einfach nicht hin. Da sehe ich Diskussions- und Ausbildungsbedarf.
Müsste man einzelne Gesetze verschärfen, um als Vertreterin der Opfer von Berichterstattung eine bessere Handhabe zu bekommen?
Die Betroffenen verfolgen zu wenig konsequent ihre Rechte, und wenn, dann schöpfen die Gerichte den Rahmen nicht aus.
Was mich stört, ist eher, dass die bestehende Gesetzeslage, auch die möglichen Sanktionen, nicht ausgeschöpft wird. Die Betroffenen verfolgen zu wenig konsequent ihre Rechte, und wenn, dann schöpfen die Gerichte den Rahmen nicht aus. Im Wege der Hass-im-Netz-Gesetzgebung sind die Strafen für Persönlichkeitsschutz-Delikte ja ordentlich erhöht worden. Da braucht es jetzt mehr Bewegung, und insofern wäre auch ein Musterprozess auf Gewinnherausgabe schon eine große Sache! Es gibt einen durchaus beträchtlichen Höchstbetrag im Mediengesetz bei „besonders schwerwiegenden Fällen“, – In meiner 25 jährigen Tätigkeit ist mir kein einziger Fall bekannt, der als besonders schwerwiegend beurteilt wurde. Das sagt schon sehr viel über die nicht immer nachvollziehbare Zurückhaltung der Gerichte aus.
Plattformen Sozialer Medien verbieten?
Diffamierung von Menschen, Hass im Netz wird immer auch durch die Sozialen Medien verstärkt. Eine Frage noch aus aktuellem Anlass, der islamistischen Radikalisierung durch TikTok & Co: Viele wünschen sich ein Verbot Plattform dieser oder anderer Plattformen. Sie auch?
Ein Verbot sollte immer die ultima ratio sein. Diese Diskussion lenkt davon ab, dass die Hausaufgaben nicht gemacht werden: Die Plattformen müssen ihre Moderationsaufgaben erfüllen und scharf sanktioniert werden, wenn sie nachlässig sind. Dafür fehlt es am politischen Willen, an Personal, an Spezialisten, die sich darum kümmern, die konsequent beobachten, was in den Sozialen Netzen vor sich geht. Die meisten in der Exekutive und auch in der Judikatur haben ja keine Ahnung, was da abgeht, weil sie selbst nicht auf diesen Kanälen unterwegs sind. Kurzfristige Aufregung und Anlassgesetzgebung bringen da wenig.
Zur Person:
Maria Windhager ist eine auf Medienrecht und Persönlichkeitsschutz spezialisierte Rechtsanwältin. Als Medienanwältin wurde sie unter anderem bekannt, weil sie die Grüne Abgeordnete Sigrid Maurer im Kampf gegen Hasspostings vertrat und als Anwältin von Eva Glawischnig beim Europäischen Gerichtshof erwirkte, dass Facebook dazu verpflichtet werden kann, Hasspostings zu löschen.
Text: Claudia Gigler, 11.3.2025. Bild: Medienanwältin Maria Windhager. Foto: Heribert Corn
Der Artikel erschien am 11. März in gekürzter Form in der Kleinen Zeitung.