Jolanda Spiess-Hegglin, © Anne Gabriel-Juergens

Schweizer Urteil: Gewinn-Rückzahlung an Jolanda Spiess-Hegglin

Laut dem richtungsweisenden Urteil in der Schweiz muss der Ringier-Verlag der Journalistin und ehemaligen Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin den Gewinn zurückzahlen, den er durch persönlichkeitsverletzende Artikel erzielte, plus Zinsen.

Nur vier Artikel, aus einer Zahl von insgesamt mehr als 150 dokumentierten persönlichkeitsverletzenden Geschichten in einem Zeitraum von zehn Jahren, hat Jolanda Spiess-Hegglin vorerst eingeklagt. Die dafür zustehende Gewinn-Rückzahlung hat das Kantonsgericht Zug mit 309.531 Euro beziffert, zuzüglich 5 Prozent Zinsen pro Jahr ab dem jeweiligen Erscheinungsdatum. Gesamt ergibt das einen Betrag von 459.582,50 Euro. Dazu kommt eine „Parteientschädigung“ für die Klagskosten (Anwalt, Privatgutachten, etc.) in Höhe von 112.495,50 Franken sowie Rückzahlungen für Gerichtskosten in Höhe von 12.060 Franken, macht insgesamt 584.138 Franken. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das Urteil im Detail finden Sie hier.

Der letzte Prozesstag im November war der Höhepunkt eines zehn Jahre währenden Verteidigungskampfes gegen das Boulevard-Medium „Blick“ (Ringier-Verlag). Das Urteil dürfte wegweisend für künftige Medienklagen in der Schweiz, aber auch in Deutschland oder Österreich sein. Rena Zulauf, die Medienanwältin an der Seite des Opfers: „Das Urteil ist ein Meilenstein im Medienrecht. Es bekräftigt den Rechtsgrundsatz ‚Unrecht darf sich nicht lohnen.‘“

Vier Artikel eingeklagt

Die Basis für das Urtei in Bezug auf die Gewinn-Rückzahlungan Jolanda Spiess-Hegglin sind folgende vier Artikel Print und Online, die eingeklagt wurden:

  • „Sex-Skandal in Zug: Alles begann auf der ‚MS Rigi’“ vom 27. Dezember 2014 im Medientitel Blick Print und Blick Online
  • „Jolanda ‚Heggli‘ zeigt ihr ‚Weggli“ vom 4. Februar 2015 im Medientitel Blick am Abend und Blick Online
  • „Neue Fakten in Zuger Polit-Sex-Affäre aufgetaucht: DNA-Analyse belegt ‚Kontakt im Intimbereich‘“ vom 14. August 2015 im Medientitel Blick Print, und „DNA-Analyse in Zuger Polit-Affäre beweist ‚Kontakt im Intimbereich“ vom 14. August 2015 im Medientitel Blick Online;
  • „Ich öffnete die Türe und sah Kleider am Boden“ im Medientitel Blick am Abend Print vom 24. September 2015, und „Zeugen-Protokoll der Zuger Sex-Affäre aufgetaucht: ‚Ich öffnete die Türe und sah Kleider am Boden‘“ vom 24. September 2015 im Medientitel Blick Online.

Jolanda Spiess-Hegglin in einer ersten Reaktion: „Ich bin einfach nur glücklich, dass das Gericht meiner Argumentation gefolgt ist.“

Formel für Gewinn-Rückzahlung

Jolanda Spiess-Hegglin wurde im Dezember 2014 im Rahmen einer politischen Feier Opfer eines mutmaßlichen Sexualdelikts. Sie wurde mit Bild und Namen in der Boulevardzeitung „Blick“ identifiziert und im Laufe der folgenden Jahre immer wieder zum Objekt der Berichterstattung. Insgesamt sind mehr als 150 persönlichkeitsverletzende Artikel dokumentiert.

Das Bahnbrechende an diesem Urteil: Noch nie zuvor war es gelungen, die Gewinne eines Verlages auf die einzelnen strafbaren Artikel herunterzubrechen. Das Kantonsgericht schrieb quasi eine „Formel“ dafür fest. Der Weg dorthin: Eine „Stufenklage“. Im ersten Schritt wurde die Feststellung erstritten, dass die Artikel die Persönlichkeitsrechte der Klägerin verletzten. Im zweiten Schritt wurde die beklagte Partei verpflichtet, der Klägerin den Gewinn herauszugeben, den sie mit der Publikation der inkriminierten Artikel erzielt hat. Im dritten Schritt wurde die Herausgabe aller Unterlagen zur Berechnung des Gewinns erzwungen. Und im vierten Schritt schließlich definierte das Gericht auf Basis dieser Unterlagen eine Formel für die Höhe des Gewinns pro einzelnem Artikel.

Ringier will das Urteil zur Gewinn-Rückzahlung an Jolanda Spiess-Hegglin anfechten. Zwar zähle die Berichterstattung von damals tatsächlich „nicht zu den publizistischen Sternstunden dieses Landes und des Blick“. Sie sei „Ausdruck eines harten Boulevardstils, den Blick längst nicht mehr praktiziert, und das ist gut so“, sagt  Ladina Heimgartner (CEO Ringier Medien Schweiz). Der tatsächliche Gewinn sei jedoch ein Bruchteil der geforderten Summe.

Endlich die eigene Geschichte erzählt

Im November 2024 erschien das Buch „Meistgeklickt„, eine Rückschau von Jolanda Spiess-Heggling auf eine zehn Jahre währende Hetzjagd. Ihre Motivation: „Endlich einmal konnte ich selbst meine eigene Geschichte erzählen.“

Das Buch können Sie hier bestellen.

Auszüge aus dem Buch finden Sie hier.

Interview mit Jolanda Spiess-Hegglin

Wir sprachen mit Jolanda Spiess-Hegglin unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils:

Ihr erster Gedanke nach dem Urteil?

JOLANDA SPIESS-HEGGLIN: Es stellt sich heraus, dass in einer Auseinandersetzung mit der Medienbranche die Schweizer Gerichte die einzigen, aber sehr zuverlässigen Faktenchecker sind.

150 inkriminierende Artikel sind über Sie erschienen. Wenn Sie die alle einklagen, wäre das eine Millionensumme!

Mal sehen. Jeder Artikel wird einzeln bemessen. Bis jetzt decken die zurückgegebenen Gewinne gerade einmal meine Kosten für die Gegenwehr. Es ist der Betrag, um den sich Ringier bereichert hat. Es ist keine Entschädigung, kein Schadenersatz.

Wie kann es sein, dass ein einzelner Artikel einem Verlag so viel bringt?

Das ist das Wesen dieses absolut krassen Boulevards. Da ist zwischen dem meistgelesenen Artikel und den darauffolgenden ein extremes Gefälle. Die Artikel über mich waren fast alle unter den meistgelesenen Artikeln. Man wird nicht umsonst die meistgegoogelte Frau der Schweiz 2015!

Kommt der Journalismus insgesamt durch dieses Urteil unter Druck?

Bei diesen Artikeln ging es nie um „Journalismus“, sondern immer nur ums Geld. Titel wie „Jolanda Heggli zeigt ihr Weggli“ wirken heute zum Glück wie aus der Zeit gefallen. Der relevante, handwerklich sorgfältig arbeitende Teil der Medien-Branche tut gut daran, sich entschiedener von den Haudraufs, Falschbeschuldigern und Persönlichkeitsverletzern abzugrenzen. Gerade in Zeiten zunehmenden Denunziantentums kommt sorgfältigem Journalismus eine immer wichtigere Rolle zu.

Sie kämpfen seit zehn Jahren. Können Sie mit diesem Urteil endlich abschließen?

Meine Familie und ich haben eigentlich schon unseren Frieden gefunden. Für mich hat auch die Veröffentlichung meines Buches „Meistgeklickt“ im vergangenen November dazu beigetragen, der Umstand also, dass ich endlich einmal meine eigene Geschichte selbst erzählen konnte!

Text: Claudia Gigler, 27.1.2025, Bild: ©Anne Gabriel-Juergens

Dieser Text von Claudia Gigler ist in ähnlicher Form in der Kleinen Zeitung erschienen: https://www.kleinezeitung.at/kultur/medien/19296910/sensationsurteil-617000-euro-fuer-ein-opfer-des-boulevards


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