Diffamierung und Shitstorms: „Aufgeben ist keine Option“

Sie freut sich, wenn eine Frau Gegenwind aushält und Orientierung gibt: Die Mobilitätsexpertin Katja Diehl über ihr Eindringen in eine Männerwelt, die Bedeutung von Netzwerken für die Widerstandskraft und darüber, was frau braucht, um Shitstorms und Diffamierung zu überstehen.

Interview mit Katja Diehl von Ulrike Reiche, geführt am am 18. April 2024

Dein erstes Buch „Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt“ ist Programm – in der Öffentlichkeit bist Du als Mobilitäts-Aktivistin sichtbar. 

KATJA DIEHL: Das Wort „Aktivistin“ ist in diesem Zusammenhang interessant. Ich habe damit überhaupt kein Problem, weil es bedeutet, dass nämlich etwas aktiviert wird. Da aber der Begriff der Aktivistin in bestimmten Bereichen der Gesellschaft diffamierend eingesetzt und als Gegensatz zur Expertin wird, passe ich da mittlerweile (leider) sehr auf. Es braucht sowohl Altivist:innen als auch Expert:innen. Und eben Menschen wie mich, die beides vereinen. Deshalb lege ich mittlerweile zum Beispiel Wert darauf, dass ich Mobilitätsexpertin und Bestseller-Autorin bin. Das wird dann durchaus schon mal in einschlägigen Kreisen mit der Aussage in Frage gestellt: „Die hat doch Literaturwissenschaft studiert!“ Was schlichtweg meine These bestätigt, dass manche sich mehr mit meiner Person als mit meinen faktenbasierten Inhalten beschäftigen.

Damit sind wir mit der ersten Frage ja schon direkt im Thema! Ich weiß, dass Du beruflich bereits mit dem Thema Mobilität befasst warst, bevor Du mit „Mobilität neu denken“ sichtbar wurdest – so würde ich das in meinen Worten beschreiben. Was hat Dich seinerzeit bewogen, Dich in die Richtung zu verändern, die du jetzt hast? Gab es bestimmte Erkenntnisse oder Auslöser dafür? 

Ja, die gab es. Wobei ich seinerzeit sehr vorsichtig war, darüber offen zu sprechen. Die Diversitäts-Debatte war noch ganz am Anfang, und ich selbst hatte zunächst auch gar nicht unbedingt verstanden, was mir passiert ist. 

Ich habe den Schritt von der Teamleitung in die Abteilungsleitung gemacht. In meinem Arbeitsbereich war ich die einzige Frau in einer Führungsposition, war also sehr viel in reinen Männergremien unterwegs. 

Gleichzeitig war ich immer sehr nah bei den Kund*innen und am Team, und zwar bei den Leuten, die die Arbeit verrichten. Mir war und ist ein respektvoller Umgang mit jedem Menschen wichtig, unabhängig von der Hierarchie. Dadurch hatte ich wohl einen gewissen Skurrilitätsbonus, der zusätzlich durch den Gender Bias verstärkt wurde.

Du warst also ein bisschen anders, und dann noch eine Frau in der Männerwelt … 

Ja, und das war lange auch irgendwie ok. Im Mobilitätssektor, egal ob in der Automobilbranche oder im Öffentlichen Nahverkehr, haben wir hinsichtlich Diversität noch sehr viel Nachholbedarf. Deshalb vertrete ich eine intersektionale Mobilitätswende. Mir ist wichtig, dass bei neuen Mobilitätskonzepten möglichst viele Perspektiven berücksichtigt werden, damit allen Menschen mobile Teilhabe ermöglicht wird.

Ich habe eben herausgehört, dass dieser Ansatz auch auf Deinen eigenen Erfahrungen beruht? 

Richtig. Ich unterschied mich in meiner damaligen Position von meinen Kollegen. Einmal hinsichtlich des Umgangs mit meinen Kund*innen und Teammitgliedern, aber auch in meiner Einstellung zu Statusobjekten. Ein Beispiel hierfür: Auf der Position der Abteilungsleiterin wurde mir ein Dienstwagen angeboten. Ich habe das abgelehnt, denn ich war unverändert mit dem Rad in der Stadt unterwegs. Warum sollte ich jetzt auf ein Auto umsteigen, für das ich a) keinen Bedarf und b) auch keinen Parkplatz hatte? Das gab dann eine Debatte, „das wäre für meine Position doch obligatorisch”, usw.. 

Ich fand das damals ziemlich skurril, denn ich trat ja damals schon im Rahmen meines Jobs für eine Mobilitätswende ein. Ein Dienstwagen hätte dazu in krassem Widerspruch gestanden. Wir haben dann verschiedene Optionen diskutiert, z.B. kostenreduziertes Nutzen der Carsharing Tochter. Am Ende ging es so aus, dass ich den Dienstwagen abgelehnt habe, jedoch auch keine Kompensation dafür erhielt. Es war offensichtlich nicht möglich, den entsprechenden Gehaltsanteil in irgendeine andere Form zu überführen.

„Walk the talk“ – alles andere wäre wohl wenig glaubwürdig gewesen. Wie ging es dann weiter, wie kamst Du zu dem, was Du heute machst?

Es kamen noch einige solche Momente dazu, so dass ich im Rückblick sagen würde, ich habe 25% der Zeit damit aufgewendet, mich zu erklären. Dazu kamen misogyne Aussagen wenn ich mal einen Rock trug, obwohl ich viel Rad gefahren bin, oder dass ich ja wohl jeden Feuerwehrmann im Haus kennen würde, weil ich allen Mitarbeitenden vom 50 jährigen Busfahrer bis zum Auszubildenden auf Augenhöhe begegnet bin. 

Das hört sich so an, als wenn das Klima atmosphärisch gegen Dich gekippt wäre?

Schließlich war das so. Ich habe situativ geführt und immer gute Ergebnisse geliefert, keine Probleme im Team. Meine hohe Leistungsqualität spielte immer weniger eine Rolle. Am Ende kam dann ein neuer Chef, da wurde die Welt endgültig eine andere. Ich habe schließlich ein Mobbing-Tagebuch geführt und mich dann auch getrennt, unter Beiziehung meines Anwalts.

Katja, das macht mich gerade wirklich betroffen. Ich hatte Dich für dieses Interview angefragt, weil ich von dem Shitstorm im vergangenen Jahr wusste und Deinen offenen Umgang damit bewundere. Diese Vorgeschichte war mir bisher nicht bekannt. Und im Grunde sind das ja auch schon Formen einer Diffamierung gewesen, die sich auf der betriebsinternen Bühne abgespielt hat.

Im Rückblick sehe ich das auch so. Für mich war das auch erst einmal sehr hart, weil ich mich von meinem Lieblingsteam trennen musste. Das war ja nicht freiwillig, dazu war ich einfach mit dem Thema sehr verbunden.

Ich habe dann realisiert, dass ich wohl nicht in eine Konzern-Kultur passe. Ich wollte dann im Kontext von Klimawandel arbeiten und habe erst einmal für jemanden die Kommunikation gemacht. Ich musste aber feststellen, dass das so nicht mein Thema ist. Das Arbeitsverhältnis habe ich noch in der Probezeit beendet, und als ich meinen Schlüssel und den Laptop abgegeben hatte, dachte ich: „Cool, da hab ich so innerhalb von einem halben Jahr zwei Jobs gekündigt – was denkt jetzt Deutschland über dich?“

Das war der Moment, in dem ich gedacht habe, ich mache jetzt was ganz anderes. Mich hat dann ein Bekannter aufgebaut, der mir gesagt hat „Das ist richtig, was Du sagst – aber die anderen haben das alles nicht hören wollen.“ Ich habe mich daraufhin wirklich zusammen genommen und in alle Netzwerke reingeschrieben. Es kamen dann viele tolle Reaktionen á la „Hey, wir brauchen dich hier in der Mobilität, deine Stimme fehlt!“ 

Das deckt sich mit meinen Erfahrungen – es braucht im engeren und weiteren sozialen Umfeld diese Stimmen, die einen bestärken, und das gegebenenfalls auch einmal öffentlich tun.  

Mir hat das damals sehr gut getan. Ich habe, durch die vielen Gespräche ermutigt, den Podcast „She DrivesMobility[DS1] “ gelauncht und angefangen zu bloggen. Damit musste ich aus meiner Komfortzone. Zum einen war das nicht mein ursprüngliches Handwerk, und dann stand ich gefühlt komplett nackig in der Öffentlichkeit. Vorher war ich im Konzern, da gab es eine Pressestelle und die Kommunikationsabteilung. Ich hatte eine klare Rolle, und nun war ich einfach Katja Diehl, selbstständig. Als einzelne Person musste ich nun Shitstorms händeln, die quasi vorprogrammiert sind, wenn ich als Frau über Mobilitätsveränderungen spreche. 

Das hört sich in beruflicher Hinsicht nach einer echten Metamorphose an. Und kommunikativ nach einer größeren Lernkurve.

Es ist wirklich unglaublich, was mir entgegenschlägt. Diffamierende Äußerungen sind im Prinzip an der Tagesordnung. Mir wird alles mögliche Böse an den Hals gewünscht. Auch wird mir häufig abgesprochen, dass ich mich auskenne, beispielsweise weil ich ja aktuell in der Großstadt wohne. Dabei weiß ich sehr wohl, wie das im ländlichen Raum mit fehlender Mobilität ist – meine Eltern leben so, und mein Bruder und ich fahren sie regelmäßig zum Arzt. Gerade weil ich es weiß, will ich etwas verändern! 

Es kommt auch vor, dass mir jemand nachts Pizza oder Döner nach Hause liefern lässt, man hat mir auch schon mal die „Junge Freiheit“ abonniert oder für mich zur Hörgeräte-Testung eingeladen… das ist irgendwie schon so ein Teil meines Lebens geworden. 

Puh, da geben sich Menschen ja offensichtlich sehr große Mühe, Dich zu belasten und zu belästigen. 

Ich will da jetzt gar nicht so auf MiMiMi rauskommen, das liegt mir überhaupt nicht. Ich kann nur feststellen, dass ich selbst einfach keinen Schutz erhalte.

Es ist für mich auch ein Wagnis, darüber offen zu sprechen. Denn es wird einem schnell als Schwäche ausgelegt. Ich habe leider auch die Erfahrung gemacht, dass Journalist*innen oft nach dem einen Auslöser für mein Engagement fragen, und gar nicht verstehen, dass es ein längerer Entwicklungsprozess ist, den ich keineswegs freiwillig beschritten habe und von dem ich nicht wusste, was das bedeutet. Am Ende bin ich gesprungen und nun ist es so, und ich kann es ja auch nicht ändern. 

Ich komme nochmal auf die Vorgeschichte im Angestelltenverhältnis zurück. Das, was du jetzt erlebst, scheint mir eine Fortschreibung dessen zu sein, was in anderen Strukturen auch schon stattgefunden hat, eben nur nicht so öffentlich erkennbar.  Diese Dynamiken sind für Diffamierung kennzeichnend und eben ein strukturelles Thema, das unterschiedliche Formen annimmt. Es sieht anders aus, wenn du Abteilungsleiterin im Konzern bist, oder wenn Du die Solounternehmerin bist. Letztlich geht es in beiden Fällen mit ähnlich harten Mitteln zu, die darauf abzielen, die Person zu beschädigen und in vielerlei Hinsicht existenziell bedrohliche Konsequenzen nach sich ziehen können. 

Geld ist eines dieser existenziellen Themen. Zum Beispiel habe ich im vergangenen Jahr die finanziellen Einbußen thematisiert, die ich aufgrund des Shitstorms hatte. Dann wird mir empfohlen, ich solle mich doch wieder im Konzern anstellen lassen – dann würde ich sechsstellig verdienen und hätte weniger Ärger. Es wird total ausgeblendet, dass das nach dem, was mir passiert ist, nicht mehr geht, dass ich diese Wahl nicht habe – auch weil mein Engagement eine Mission ist. 

Dann gibt es so Momente, in denen ich Tesla kritisiert habe und daraufhin prompt zehn Prozent meiner Abonnent*innen verliere. Ich habe damit offensichtlich die Ambivalenz zwischen der eigenen Komfortzone als Elektro-AutoFahrer*in und der eigenen Wahrnehmung als guter, sich nachhaltig verhaltender Mensch deutlich gemacht. Und die Konsequenz sind dann Umsatzeinbußen auf meiner Seite.

Wenn du so auf die letzten Jahre schaust, in denen du ja die öffentliche Person geworden bist und wo ja auch diese Shitstorms immer wieder aufkommen, gibt es Unterstützer? Wer oder was findest du hilfreich?

Kannst du bitte schreiben „Nicht gemeckert ist genug gelobt!“? Ich merke, ich muss immer wieder auffordern, auch mal Positives zu vermelden, und ich versuche auch selber das vorzuleben. 

Ich finde es krass, dass Menschen nicht verstehen, wie groß ihre Verantwortung ist, in dieser Welt zu agieren. Sie können jeden Tag entscheiden, ob sie rote Linien übertreten, ob sie dabei zusehen oder ob sie sich positionieren und Hatern keinen Raum geben. 

Ich staune darüber, wie schweigsam diejenigen sind, die gute Veränderungen wollen. In den öffentlichen Debatten hören wir das Brüllen derjenigen, die wenig verändern möchten. Vielleicht sollten wir weniger akademisiert und höflich erzogen agieren, und auch mal mit den Wahrheiten laut zurückbrüllen.

So wie ich Diffamierung bei dir beobachte, stelle ich mir die Frage, was kann ich tun? Diese Frage haben wir uns im Think Tank immer wieder gestellt. Es gibt unterschiedliche Formen von Support und Unterstützung. Gibt es Dinge, die du erlebt oder aktiviert hast? 

Seit dem Auftritt bei Anne Will und dem folgenden Shitstorm inklusive Morddrohungen habe ich eine Person eingestellt, die mir bei Instagram hilft und jemanden, der die Kommentarspalten für mich moderiert und meine Mails checkt. Im Prinzip verwende ich die ganzen Einnahmen von meinem Newsletter für ihre Gehälter. Ich habe mir eine eigene Struktur nur dafür aufgebaut, obwohl dies ja nicht mein eigentliches Kerngeschäft ist. Diese Struktur hält mir ein Stück weit den Rücken frei, damit ich mich überhaupt mit Mobilität beschäftigen und dafür Impulse geben kann. 

Ich würde gern mit dir rekapitulieren: wie schaust du da jetzt darauf zurück, mit den ganzen Erfahrungen aus den letzten Jahren? Du hast gesagt, du gibst nicht auf. Du hast dein zweites Buch geschrieben und du hast dich strukturell aufgestellt mit den Mitarbeitenden und richtest dich darauf ein, dass jetzt nach dem Erscheinen wieder jede Menge kommunikativer Shit kommt. Was hält dich aufrecht, sodass du mit all diesen Dingen umgehen kannst?

Ich möchte ein Mensch sein, der gemeinsam mit anderen etwas verändert. Vielleicht so wie die Suffragetten Bewusstsein geschaffen haben. Es war eben ja auch nicht die eine, sondern das war eine ganze Bewegung.

Ich freue mich, wenn eine Frau wie die Oberbürgermeisterin in Paris das Rückgrat hat und viel Gegenwind aushält und wirklich wie eine echte Führungskraft Orientierung für eine moderne urbane Mobilität gibt. 

Und ich würde mich freuen, wenn immer mehr Unternehmen und Organisationen sich hinsichtlich ihrer Diversität überprüfen würden. Wenn ich davon in den Büroräumen spüre, wenn Panels immer diverser besetzt werden, und immer mehr Menschen auch teilhaben an den Räumen der Macht. Wenn Unternehmen überprüfen, woher kommen die Menschen, die sie einstellen. Machen wir mit beim „Thomas-Prinzip“ oder lassen wir auch andere zu? 

Es geht darum, das, was alles schon gemacht wird, noch weiter zu denken. Dann gelingt die intersektionale Mobilitätswende.

Herzlichen Dank für Deine Offenheit und die vielen Anregungen. Für Deine Arbeit wünsche ich Dir viel Erfolg und Unterstützung.

Lesen Sie dazu auch: Diffamierung: Was es mit Organisationen zu tun hat (Ulrike Reiche)


Katja Diehl

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Bücher: Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt (2022 S. Fischer Verlage), Raus aus der Autokratie – rein in die Mobilität von morgen (erscheint am 29.05.2024 bei S. Fischer Verlage)

Ulrike Reiche

ist seit mehr als 20 Jahren Coach und Organisationsberaterin im Kontext von Beruf, Gesundheit und einer menschenorientierten Arbeitsorganisation. Im Zuge dessen beschäftigt sie sich insbesondere mit strukturellen Rahmenbedingungen, die Vereinbarkeit und Diversität entgegenstehen.

Sie ist Vorstandsfrau der fem! feministische fakultät https://feministische-fakultaet.org/ und moderiert den Initiativkreis #CloseEconDataGap https://www.closeecondatagap.de/ , der sich mit der unzureichenden Datenlage zur Care-Arbeit beschäftigt.

Seit 2020 engagiert sie sich im Rahmen des internationalen think-tanks  https://diffamierung.net/ gemeinsam mit Expertinnen aus dem deutschsprachigen Raum zum Themenkomplex der Diffamierung, speziell von Frauen.


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