Das Kreuz mit den Diffamierungen — Gedankensplitter

Theoretische Überlegungen

„Ist es rassistisch, Frauen in der Kirche zu diskriminieren?“ mit dieser Frage beschäftigte sich eine Sendung des Bayrischen Rundfunks am 25.1.2021. Die Tübinger Professorin für Dogmatik und Theologie, Johanna Rahner, hat die Angriffe auf die Bewegung Maria 2.0 und die Reaktionen auf die Missbrauchsskandale der katholischen Kirche als „rassistisch“ bezeichnet. Aus dem aktuellen Gutachten über die katholische Kirche in Bayern ergibt sich, dass dort überwiegend Mädchen und Frauen betroffen waren.

In einem Artikel  „Frauenbefreiung und Rassenveredelung“, Eugenisches und rassenhygienisches Gedankengut im feministischen Diskurs der historischen radikalen Frauenbewegung aus dem Jahr 1994 hatte Brunhilde Sauer-Burghard (beiträge zur feministischen theorie und praxis, Nr. 38/1994, S. 131 ff.) angemahnt, die entsprechenden Positionen von Pionierinnen der deutschen Frauenbewegung, Anita Augspurg, Helene Stöcker und Käthe Schirmacher, nicht unbeachtet zu lassen und beklagte den „nicht bearbeiteten Zusammenhang zwischen Rassismus und Sexismus“.

Die Reaktion des erzkonservativen Bischofs Stefan Oster (Passau) auf den Vorstoß von Johanna Rahner 2021 bestätigte diese Notwendigkeit auch für die Nachkriegszeit und die Gegenwart gerade vor dem Hintergrund der deutschen NS-Geschichte. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bätzing, sah sich gezwungen, um Rücknahme des zugespitzten Satzes zu bitten.  Johanna Rahner: „Mag sein, dass der Satz nicht diplomatisch war, aber wahr ist er.“

Die Folge dieser Auseinandersetzung war eine heftige Debatte im Netz zwischen den liberalen und den konservativen Flügeln. Ein User schrieb: „Die Verweigerung der Gleichberechtigung ist Diskriminierung. Letztendlich eine Form von Ausgrenzung. Das ist Rassismus.“  Die Kernaussage der Argumentation von Oster zeigt, wie die tief die Spaltung zwischen dem eigenen Institutionenschutz und dem häufig vorgetäuschten seelsorgerischem und menschlichen Verständnis für die betroffenen Frauen ist. Oster kehrt einfach um und schlägt zurück. Er beruft sich auf die „Effekte bei den tatsächlichen Opfern von Rassismus“. Außerdem erkläre Rahner damit auch den Papst zum Rassisten. Beide kirchlichen Vertreter der Debatte wünschen sich eine enge Begriffsdefinition von Rassismus fern von Gleichberechtigungsgedanken und die Diskussion allein mit theologischen Argumenten.

Damit lehnen sie die in Art. 3 Abs. 2 GG garantierte Gleichberechtigung ab, die 1949 nach ihrer Entstehungsgeschichte eine eindeutige Reaktion auf den Rassismus und Sexismus in der NS-Zeit war. Sie spalten außerdem die Betroffenen von kirchlicher Diffamierung und Diskriminierung in echte und nur scheinbar Opfer, die sich den Opferstatus anmaßen. In der Konsequenz bedeutet das, dass nur ermordete und körperlich gequälte Opfer aus der Vergangenheit ein Recht auf Diskriminierungsschutz haben. Der Rassismusbegriff wird als Spaltungsmöglichkeit gegenüber dem Sexismus genutzt.

Ein zweites Beispiel:

Mitte der 80er Jahre gab es in der westdeutschen Frauenbewegung einen heftig ausgetragenen polarisierenden Streit über das sog. Müttermanifest, das von Politikerinnen der GRÜNEN vorgelegt worden war. Auch hierbei wurde den Initiatorinnen „Revisionismus“ vorgeworfen, der mit einem Vergleich zum Rassismus der NS-Zeit begründet wurde.

Was hier für die BRD-Nachkriegsgeschichte sichtbar wird, ist aus meiner Sicht für Spaltungsstrategien gegenüber Betroffenen verallgemeinerbar und ist die Basis von Ausgrenzungs- und Isolationsprozessen bei Diffamierungen. Konkrete Beispiele lassen sich mühelos auch bei den Auseinandersetzungen bei Mobbing, sexuellen Übergriffen und Beleidigungen, gegenüber Migrantinnen, Flüchtlingen, Frauen aus nicht-deutschen Herkunftsländern, im Wissenschaftsbereich und bei Angriffen auf politische Positionen von Frauen finden.

Praktische Handlungsoptionen

Bei meinen eigenen Diffamierungserfahrungen und bei der Rechtsvertretung von Frauen bei sexuellen Übergriffen ist mir aufgefallen, wie dünnhäutig und hilfsbedürftig Frauen dabei werden. Die Angriffe schwächen nicht nur die Bereitschaft zur Gegenwehr und das eigene Selbstbewusstsein, sondern häufig auch das Immunsystem. Auch Rückzüge aus der Politik, den Betrieben und generell aus den Diffamierungsräumen sind sehr häufig und können zu einer Schwächung gerade der aktiven Frauen in den möglichen Handlungsräumen und damit der Frauenbewegung insgesamt führen. Nicht zufällig sprechen viele Frauen, die bei sexuellen Übergriffen den Rechtsweg gehen, von einer zweiten Vergewaltigung, ich selbst spreche von dem zweischneidigen Schwert der Gesetze im Rahmen von struktureller Diskriminierung.

Frauen wehren sich jedoch trotzdem auf vielfältige Weise, oft individuell durch Therapie, Coaching und langen Entlassungsgespräche mit Freundinnen, Beraterinnen, Rechtsanwältinnen etc. und erwarten, dass auch Rückzüge akzeptiert werden. Ein verständnisvoller Umgang mit den Erfahrungen der Betroffenen minimiert die Gefahr, klischee- und vorurteilsbeladen zu reagieren. Ich habe auch Frauen erlebt, die politische Forderungen bei Diffamierungserfahrungen erhoben  haben, z.B. in den Betrieben Forderungen nach einer Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten und rechtlichen Schutzmaßnahmen wie Betriebsvereinbarungen.

Das bundesdeutsche AGG und die entsprechende Rechtsprechung ist erst ein Minischritt. Auch dort wird jedoch zwischen „leichten“ und „schweren“ Verstößen nicht differenziert  und zumindest bei sexuellen Übergriffen auf die „unerwünschten“ Gefühle der Betroffenen (§ 3 Abs. 4 AGG) Rücksicht genommen. Das Bundesarbeitsgericht hat 2009 diese Vorschrift auch auf rassistische Beleidigungen angewendet, allerdings verlangt, dass durch diese Angriffe ein fremdenfeindliches Klima im Betrieb erzeugt werden müsse.

Die Einmischung auch mit mehr Frauenforderungen in den Tarifverträgen und bei den Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der Politik ist notwendig. Die schöne Forderung nach Frauensolidarität sollte derartige neue Handlungsfelder beleben, um die Zwischenräume und die vermeintlichen Leerstellen zwischen den Schutz-, Fürsorge- und Gleichberechtigungsfloskeln und realem patriarchalem und kapitalistischem Handeln zu füllen. Unabhängige, gut bezahlte und interdisziplinäre Beratungsangebote und Schulungen sind ein wichtiger Schritt. Ich freue mich auf weitere Diskussionen.

Barbara Degen, Januar 2022


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